Offener Brief für ein
weltoffenes 

 "HAUS DER KULTUREN"
an das Stadtparlament in Schwerin
im Namen von bedeutenden Persönlichkeiten
aus Kultur, Politik und Wirtschaft,
sowie weiteren

3000 UNTERSCHRIFTEN 
Schweriner Bürgern

  
(Schwerin, Neustädtisches Palais,   im Juli 1999)

Sehr geehrte Frau Stadtpräsidentin!

Sehr geehrte Stadtvertreter! Meine Damen und Herren!
Vor einigen Monaten startete das Freie Theater Studio im TIK einige Aktionen mit dem Ziel, das traditionsreiche Haus der Kultur, als Kulturstätte zu erhalten und künftig in ein "Haus der Kulturen" zu verwandeln.
Die Solidarität der Bürger Schwerins, die wir dabei verspürten, überstieg bei weitem unsere Erwartungen.
Wir hatten nicht geahnt, wie wichtig dieses alte Gebäude für die Schweriner war. Viele erzählten uns von ihren menschlichen und kulturellen Erlebnissen in diesem Hause- angefangen von der Nachkriegszeit bis zur Wende und in die heutige Zeit. Als Ort für Tanz und Plausch, Theater und Musik, als Stätte geistreicher kultureller Begegnung, in der mal Mecklenburger Platt geschnackt und mal weltoffenes Esperanto gepflegt wurde, war das Haus über Jahrzehnte einer der bedeutendsten und lebendigsten kulturellen Anziehungspunkte der Stadt.
In ganz wenigen Tagen - gerade wie es das Wetter erlaubte - wurden durch uns und andere Sympathisanten, darunter viele engagierte Jugendliche, in der Fußgängerzone vor dem Haus der Kultur über 3000 Unterschriften gesammelt.
Unterzeichner waren Menschen jeden Alters, jedes Bildungsstandes, ja selbst hochrangige Vertreter aller in diesem Parlament versammelten demokratischen Parteien.
(Wie z. B. Herrn Dr. Harald Ringstorff Ministerpräsident MV, und Innenminister Dr. Gottfried Timm  der SPD,  Herrn Dr. Lothar Wilke der CDU, Herrn Dr. Edmund Haferweg und Frau Renate Voss den Grünen, Dr. Gregor Gysi, Dr. Brie und Herrn Böttger der PDS, oder Schriftsteller wie Günter Grass und viele andere). 
Den offenen Brief mit einem Auszug aus den Unterschriftenlisten haben wir vor wenigen Minuten unter den hier Anwesenden ausgeteilt, damit jeder sich seine eigene Meinung bilden möge.
Diese breite Koalition vernünftiger Menschen für ein zukunftsweisendes Projekt wie ein Haus der Kulturen über alles sonst Trennende hinweg, machte uns Mut, uns weiter für diese Idee einzusetzen.
Geboren wurde der Gedanke eines solchen weltoffenen, multikulturellen Hauses nicht über Nacht: Im Verlaufe der letzten Jahre war es uns im TIK nicht nur gelungen, einen großen Teil der Schweriner für vormals kaum bekannte Genre wie Pantomime und Tanztheater nachhaltig zu begeistern, sondern auch die beeindruckende Vielfalt und Qualität internationaler Kultur erlebbar werden zu lassen und eine Ahnung davon zu vermitteln, wie bereichernd für die nationale Kultur, aber auch für die Kultur jedes einzelnen Menschen eine offene Haltung gegenüber der Weltkultur sein kann. Dies hat übrigens schon der alte Geheimrat Goethe erkannt, als er (sinngemäß) feststellte: "Die Tage der Nationalkultur sind gezählt; die Zeit der Weltkultur ist angebrochen." Die große Akzeptanz von Aufführungen, Stücken, Themen und Künstlern aus unterschiedlichsten Ländern und Kontinenten seitens des Schweriner Publikums im TIK, hat uns gezeigt, daß diese Stadt zu Unrecht verdächtigt wird, wie ganz Mecklenburg mindestens seit Bismarcks Zeiten auf allen Gebieten 50 (oder 100) Jahre zu spät kommen zu müssen, sondern reif ist für zukunftsweisende Unternehmungen, reif für ein Haus der Kulturen.  

Beschreibung/Vision: Was bedeutet Haus der Kulturen in der Praxis?

Unser Projekt vom Haus der Kulturen wurde bereits im Februar '98 seitens einer Tochtergesellschaft der Stadt - der WGS (Wohnungsgessellschaft Schwerin) - begrüßt und angenommen. Auf Grundlage unseres Konzeptes (unserer Vorschläge) ließ die WGS detaillierte architektonische Pläne für die Umgestaltung und Sanierung des Hauses erarbeiten. Im Mai tauchten zu unserer Überraschung andere,  betont kommerzielle Konzepte auf, die mit einem Haus der Kulturen oder überhaupt einer Kulturstätte nicht mehr viel gemein hatten. Dies ergab den Anlaß für unsere Unterschriftenaktion. Durch die uneingeschränkte Unterstützung der Schweriner kam der Dialog mit der WGS wieder in Gang, das Konzept vom Haus der Kulturen wieder auf den Tisch, von dem es offiziell - wie bei vielen Gelegenheiten von der WGS öffentlich verkündet - seitdem nicht wieder verschwand. Wir sind darüber sehr froh und bemühen uns seitdem um eine effektive Zusammenarbeit mit der WGS, um die Verwirklichung des Projekts nach Kräften voranzutreiben. Wir haben die konzeptionelle Arbeit vertieft, wiederholt mit den Architekten beraten, sogar im Auftrag der WGS mit großem Erfolg nach potentiellen Mietern gesucht, die sowohl eine im kommerziellen Sinne akzeptable Miete zahlen, als auch zur inhaltlichen Ausgestaltung des Projekts beitragen, das heißt, aus eigenen Mitteln kulturelle Veranstaltungen und menschliche Begegnungen organisieren, den internationalen Austausch auf Gebieten wie Kultur, Wirtschaft oder Wissenschaft vorantreiben ...
Einige Einrichtungen die beispielweise künftig in einem Haus der Kulturen in Schwerin präsent wären, sind: die Friedrich Ebert-Stiftung, die sich u. a. auf Gebieten wie politische Bildung und Entwicklungshilfe einen Name gemacht hat; die Carl-Duisburg-Gesellschaft, die sich schwerpunktmäßig beispielweise dem Internationalen Austausch von Wirtschaftsleuten verschrieben hat;  das deutsche-Französische Kulturzentrum mit Sitz in Rostock, das in diesem Zusammenhang vor kurzem nach reiflicher Überlegung entschieden hat, in Schwerin eine eigene Filiale zu eröffnen; Megalopolis e. V., der Behindertenverband, der Museumsverein und andere. Darüber hinaus haben diplomatische Vetretungen verschiedenen Länder innerhalb und außerhalb Europas  Interesse bekundet, wenn nicht als feste Mieter, so doch wenigstens als regelmäßiger Gast des Hauses in Erscheinung zu treten, die Kultur und /oder Wirtschaft ihres Landes zu präsentieren. Wir wünschen uns  - wie auch ein Vertreter der WGS in seinem jüngsten Interview zustimmt - ein Haus mit Europäischem Flair, das aber nicht an den Grenzen Europas haltmacht.
In diesem Sinne formulierte auch Dr. Hans-Bodo Betram vom Auswärtigen Amt der Bundesrepublik als Kernanliegen, "den Standort Europa zu festigen sowie die Europäische Union  für den weltweiten Dialog der Kulturen zu stärken".
Wir sind der Auffassung, daß ein Haus der in Zentrum Schwerins, in dem regelmäßig Veranstaltungen multikulturellen Charakters stattfinden und in dem sich diplomatische, kulturelle oder Wirtschaftsvertreter verschiedenen Länder die Klinke in die Hand geben und dabei die offene  oder auch weltoffene Atmosphäre erleben, wie wir sie bereits von den Internationalen Festivals im TIK her kennen, sich nicht nur auf die Reichhaltigkeit des kulturellen Angebotes des Landeshauptstadt positiv auswirken wird, sondern vor allem auch in beträchtlichen  Maße die Rahmenbedingungen für den internationalen Wirtschaftsaustausch verbessern.
Meine Damen und Herren Stadtvetreter, ich möchte ihnen wirklich zu bedenken geben: Kultur ist kein Sahnehäubchen, sondern  ein grundlegendes menschlichen Bedürfnis wie Essen und Trinken (wie Brot und Salz);
Kultur ist - und das gerade im vom Tourismus geprägten Mecklenburg - einer der ernstzunehmendsten Wirtschaftsfaktoren überhaupt.
Die Förderung der Kultur sollte ein jeder verantwortungsbewußter Parlamentarier freiwillig zu seiner Pflichtaufgabe erheben. Lassen Sie uns gemeinsam Visionen entwickeln und realisieren von einer Stadt, in der nicht nach Einbruch der Dunkelheit die Bürgersteige hochgeklappt werden, in der der Geist des Großherzog womöglich im Schloßmuseum  spukt, das Zentrum jedoch vom Geist der Europäischen Union, vom weltoffenen Dialog der Kulturen beherrscht wird, einer Stadt, in der  auch die begabten und phantasievollen Jugendlichen gern bleiben, einer Stadt an der Schwelle zum 3. Jahrtausend! 

 

Dr. Franklin Rodríguez  Abad

Initiator des Projektes "Haus der Kulturen in Schwerin"

 

Foto
Dr. Franklin Rodriguez Abad

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Übergabe eines Offenen Briefes 
 an das Stadtparlament Schwerin

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